Montag, 24. August 2009

things retired

Die Dinge im Ruhestand: Über das Sammeln.

SAMMELN. Anhäufen, erwerben, horten, speichern, archivieren, erfassen, in Besitz nehmen, aufheben - Der Sammler führt eine merkwürdige Existenz. Sein Wesen ist obsessiv. Er liebt die Dinge. Und hat er sie einmal gefunden, und wirklich nur für sich gefunden, dann möchte er sich nie und nimmermehr von ihnen trennen. Da schmiegt er sich an jedes einzelne dieser Dinge, nimmt Kontakt auf zu ihnen, und als wollte er eine Zeit lang überwintern, stopft er seine Backen mit Vorräten voll, um vielleicht eines Tages zu erwachen mitten in einem schönen Frühling.
Aber wie kommt der Sammler zu seiner Sammlung? Geld und Sachverstand mögen jedem Sammler dienlich sein, sie allein führen ihn jedoch nicht zum Ziel. Ausgestattet mit einem feinen Gespür ist der wahre Sammler jederzeit auf Witterung, und manchmal könnte man meinen, eine geheimnisvolle Wünschelrute würde ihn zu dem jederzeit erwarteten Fund seines Lebens führen.
Der Sammler lebt ein Stück Traumleben – alles, was ihm zustößt, betrifft ihn und nur ihn. Die Dinge treten in sein Leben und beginnen, zu ihm zu sprechen. Ihn rührt das verlassen Nachdenkliche von vielen dieser Dinge, und manch eines hat schon schutzlos auf den Sammler gewartet, der ihm Asyl geben könnte. Und so schließt er jedes einzelne von ihnen aus der Verworrenheit und Zerstreuung der Welt im Bannkreis seiner Sammlung zusammen. Einsam und in nächster Nähe mit ihnen führt er ein glückliches Dasein, denn der Sammler hat das allertiefste Verhältnis zu den Dingen, das man überhaupt haben kann. Er liest in ihnen wie in einem Leben, und sie erzählen ihr Schicksal. Jedes auch nur kleinste Detail ist für ihn von Bedeutung: die Art und Weise ihrer Herstellung, die Persönlichkeit ihres Vorbesitzers, die Zeit und die Landschaft, aus der sie kommen.
Der georgische Regisseur Otar Iosseliani ist in seinem Film „Die Günstlinge des Mondes“ den Erlebnissen eines kostbaren Porzellangeschirrs nachgegangen - wie es seinen Weg von der Herstellung und Bemalung in einer Porzellanmanufaktur hin zu einem alten Schloss findet, dort in den kriegerischen Wirren eines fernen Jahrhunderts teilweise zerstört wird und zu Bruch geht, mitten in unserer Zeit in einer Auktion einen neuen Käufer findet und nun direkt in den Haushalt eines Waffenhändlers gerät, wo es von den Kindern des Hauses beim Spielen zerbrochen und vom Dienstpersonal in den Müll geworfen wird, um schließlich in den erfreuten Händen eines Müllmannes zu landen, der die zerbrochenen Einzelteile an eine überraschend interessierte Prostituierte weitergibt, die sich ihrer schließlich annimmt. Hier findet das Geschirr seine letzte Ruhe, so wie sich bei einem Sammler die Dinge einfinden, wenn sie nach einem langen und nützlichen Leben in den Ruhestand gehen. Denn eine Sammlung ist auch ein Ort der Erholung: aus diesen Tassen wird niemals wieder getrunken, jene Briefmarke muss nie mehr auf beschwerliche und unbekannte Reise gehen, und diese Münze muss niemals wieder zum Tauschobjekt werden.
Umgeben von so viel Nutzlosigkeit und Entspannung begibt sich der Sammler an manchen langen und lasziven Nachmittagen erwartungsvoll in die gespannte Stimmung, die seine Geschöpfe in ihm erwecken. Er blickt durch sie hindurch in eine Ferne und ist erfüllt von Bildern und Erinnerungen – an Länder, in denen er so vieles entdeckt, an Orte, in denen die Dinge existiert haben, und er entdeckt Nischen in der Zeit, um sich dort einzunisten und überzusiedeln in unzählige Schattenstädte - das Glück des Sammlers! Und wenn es schließlich Mitternacht geworden ist, beginnt der Sammler zu phantasieren, denn sammeln ließe sich ja noch so viel mehr – nicht nur die Erinnerungen an ein wildes und nie gelebtes Leben, und ach! auch nicht nur Briefmarken oder Münzen oder Tassen, nein, sammeln ließen sich auch alle jemals gewünschten Wünsche, um sie eines Tages zu erfüllen - oder die schönsten Worte der Welt, um sie wieder und wieder auszurufen ... oder ganze Stunden voller Erfüllung: wertvolle Schätze aus dem wirklichen Leben ... und vielleicht auch alle trostlosen Augenblicke, um sie miteinander bekannt zu machen, auf dass sie sich gegenseitig trösten oder ... oder... – und so wachsen die Möglichkeiten weiter und weiter, wie in einem immer unübersichtlicher werdenden Garten, in dem der Sammler hinter jedem Gewächs auf immer wieder neue Sammlungen stößt, um sich schließlich selig in ihnen zu verlieren. YVONNE GEBAUER

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