Wie in einem Spiegel.
Wie schreibt man über die Tapete? Die schöne Haut unserer Zimmer? Vielleicht, indem man sich erinnert. An Karin zum Beispiel.
Ingmar Bergman hat in einem Film von Karin erzählt. Wie ihr Gehör so empfindlich geworden ist. Und manchmal, da hört sie etwas, was gar nicht da ist. Hast du den Kuckuck gehört? Und wie die Vögel so unheimlich schreien bei Sonnenaufgang. Und manchmal hat sie das Gefühl, wie wenn sie irgendwo in der Einöde ausgesetzt sei, und Eulen fliegen nachts vorbei und rascheln und flattern und tuscheln und seufzen. Auch die Eulen sind nicht das was sie scheinen und seufzen wohl in manchen Nächten, ach.
Karin ist hellhörig geworden eines Tages. Sie hat etwas entdeckt, ein geheimes Wissen, was andere noch nicht wissen, was ihnen entgangen zu sein scheint, was nur sie weiß. Sie hat entdeckt, dass im Innern des Gebälks das Feuer nistet. Fremde Stimmen sprechen zu ihr. So sanfte und tröstliche Stimmen. Sie sprechen von einem Ort hinter der Tapete.
Diese Tapete kennen wir gut, sie ist uns vertraut aus all den schönen bürgerlichen Innenräumen, der Heimstatt der Gemütlichkeit und des Wohlsinns. Wir sind eingebettet von ihr, umhegt, umlebt, umrankt. Ganz umschlossen von Ornamenten der Behaglichkeit. Die Tapete, die die Welt zusammenhält. Horror vacui.
Könnte es sein, dass das zähe Leben dieser Zimmer, die wir unsere Behausung nennen, Risse hat, und dass daraus ein ganz anderer Zustand herausschaut?, denkt Karin. Eine seltsam beunruhigende Beobachtung: Eines Tages wird diese Tapete durchscheinend, wie feines Astwerk. Und die Wand gibt nach wie eine Hecke. Und es brennt lichterloh in dieser Tapete. Karin ist erst kürzlich durch diese Wand gegangen. Durch dieses Tapetenmuster hindurch.
Was könnte das wohl für ein Gefühl sein, so durch eine Öffnung in der Wand, ein kleines Loch im Schleier des Lebens hindurchzuschlüpfen? Ein Gefühl vielleicht wie wenn man etwas verkehrt ansieht. Wenn man eine Minute lang mit rückwärts gebeugtem Kopf nach links sieht. Da wird einem ganz unheimlich. – Aber es ist irgendwie, ja irgendwie schön. Sagt Karin. Und sie ist erstaunt über die fortwährende Unruhe der Dinge und alle Facetten des Wachseins.
Vielleicht fühlt es sich auch so an - wer hat das gesagt? - : „Man steht wie geschält zwischen den Dingen, von denen auch die schmutzige Rinde abgezogen ist“ – eine „jubelnde Weltschräge“. Wenn man jenseits dieser Grenze angelangt ist, dann gibt es keine Wiederkehr. Dieser Zustand ist unheilbar. Manch einer kann nicht wechseln zwischen den Orten. Und muss sich entscheiden.
Ganz hell ist es dort. Ein Glanz liegt auf allen Gesichtern. Als ob ein verborgenes Licht sie erleuchtete. Alle warten auf jemanden der da kommen soll. Und keiner von ihnen fürchtet sich. Was sich hinter der Tapete zeigt, das könnte ein dunkles Bild sein. „Wie in einem Spiegel“. Es könnte ein Gott sein. Aber auch ein Alptraum: der Gott als ein furchtbares Getier, eine monströse Spinne. Und sie kriecht über Karin hinweg. Ist das der Wahnsinn oder die eigentliche unerträgliche unbehauste Freiheit?
Was bleibt, sind die seltsamen Zeichen und unverständlichen Muster der Tapete in einem stillgelegten, abgewohnten und verwaisten Zimmer. Als gäbe es eine geheime Botschaft zu entziffern, eine fremde Sprache zu verstehen und endlich - „Wie in einem Spiegel“ – die Rätselschrift zu entziffern. Das Zimmer führt ungerührt sein Leben weiter. Karin setzt sich eine sehr dunkle Sonnenbrille auf. Und sieht sich ihrer Auflösung entgegen. YVONNE GEBAUER
Montag, 24. August 2009
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